Steinwurf!

Governancestrukturen des Wissens- und Technologietransfers in Baden-Württemberg

In der Praxis stellen sich Wissens- und Technologietransferprozesse als Mechanismen, Kanäle, Methoden und Abläufe dar. Doch sind diese Prozesse stets in systemische Zusammenhänge eingebettet. Wissens- und Technologietransfersysteme auf der regionalen, nationalen aber auch der supranationalen Ebene rücken daher immer stärker in den Fokus, bislang allerdings ohne eine klare theoretische, konzeptionelle oder empirische Abgrenzung. Unklar bleiben in der Debatte meist die exakte räumliche und strukturelle Ausprägung, aber auch die konkreten profilbildenden Mechanismen und Kanäle spezifischer Wissens- und Technologietransfersysteme (u.a. Audretsch/Lehmann 2005; Edquist 2005).

Ein heuristisches Modell zur Erfassung und Analyse von Wissens- und Technologietransfersystemen ist in diesem Zusammenhang ein Vorschlag, der sich an der Governance-Forschung orientiert und sechs Dimensionen der Koordinierung und Regulierung von Transaktionen in systemischen Zusammenhängen unterscheidet: Markt, Organisation, Verband, Staat, Netzwerk und Gemeinschaft. Im Spannungsfeld dieser sechs idealtypischen Institutionenformen lassen sich die wesentlichen Mechanismen, Kanäle, Methoden und Abläufe des Wissenstransfers auf den jeweiligen räumlichen Ebenen systemisch verorten (Ortiz 2013).

Für die regionale Ebene (Land), die hier im Mittelpunkt stehen soll, ergeben sich auf der Grundlage dieses heuristischen Modells insbesondere Möglichkeiten der Abbildung und differenzierten Analyse des entsprechenden Wissens- und Technologietransfersystems. Baden-Württemberg kann hierbei als eine stark von netzwerkartigen, verbandlichen und gemeinschaftlichen Mechanismen des Wissenstransfers geprägte Region beschrieben werden. Staatlich getriebene Mechanismen besitzen lediglich eine durchschnittliche Bedeutung und konzentrieren sich insbesondere auf das Ermöglichen einer intensivierten Koordinierung zwischen den wirtschaftlichen Akteuren. Rein marktbasierte Mechanismen spielen, abgesehen vom Steinbeis-Verbund, nur eine marginale Rolle, während organisationsgetriebene Mechanismen eine im deutschen Kontext überraschend starke Position einnehmen.

Eine gemeinsame und belastbare regionale Identität, eine kooperative und proaktive Unternehmenskultur, eine starke Identifizierung weiter Teile des Unternehmenssektors mit der Region, korporatistische Akteure mit einem starken Verantwortungsbewusstsein und einem Blick für die Region als Ganzes sowie eine Regionalpolitik, die Bottom-Up-Initiativen der wirtschaftlichen Akteure strukturiert und fördert, sind wesentliche Erklärungsfaktoren dieser spezifischen Ausrichtung des Wissenstransfersystems in Baden-Württemberg. Hinzukommen die Unternehmensstruktur mit dem starken und diversifizierten Mittelstand, die Industriestruktur mit den traditionellen Kernbranchen in den Bereichen Automotive, Maschinenbau, Chemische Produkte und Elektrotechnik u.a. mit ihren entsprechenden inkrementellen Innovationsprozessen sowie eine Hochschul- und Forschungslandschaft, die auf diese Produktionsschwerpunkte ausgerichtet ist und sie weitgehend widerspiegelt.

Das Steinbeis-Modell des unternehmerischen, wettbewerblichen und dezentral organisierten Technologietransfers fügt sich hierbei positiv sowohl in die gewachsenen als auch in die neu geschaffenen Strukturen des Wissens- und Technologietransfers in der Region ein. Mit seinem auf Märkte orientierten Ansatz ergänzt es die netzwerkartigen, verbandlichen, organisationsgetriebenen und gemeinschaftlichen Mechanismen der Region im Kern, nimmt Bezug auf die „Bottom-up-Kultur“ der regionalen Akteure und stellt hiermit auch ein wesentliches Differenzierungsmerkmal gegenüber anderen deutschen Regionen dar. Die Breite der im Steinbeis-Modell angebotenen Dienstleistungen unterstreicht die Anpassungsfähigkeit dieses Transfermodells an spezifische Transfer- und Innovationsmodi in unterschiedlichen Sektoren und Branchen sowie an unterschiedliche Komplexitätsgrade nachgefragter Transferleistungen.

Mit seinem Wissens- und Technologietransfersystem ist Baden-Württemberg auch im europäischen Vergleich wettbewerbsfähig. Wie alle leistungsfähigen Wirtschaftsregionen in Europa steht aber auch Baden- Württemberg vor der Aufgabe, die hochkomplexen, entlokalisierten, interdisziplinären und branchenübergreifenden technologischen Herausforderungen der Gegenwart, insbesondere in den Bereichen nachhaltige Mobilität, Umwelttechnologien/ Erneuerbare Energien/ Ressourceneffizienz, Gesundheit/ Pflege sowie Informations- und Kommunikationstechnologien weiterhin durch erfolgreiche Transfer- und Innovationsleistungen zu meistern. Hierbei werden die erfolgreiche Strukturierung und Organisation kollaborativer Innovations- und Technologietransferprozesse zu zentralen Wettbewerbsfaktoren, die nicht nur die Region insgesamt, sondern auch Steinbeis im Besonderen vor neue Herausforderungen stellen.

Dieser Artikel basiert auf den Ergebnissen einer umfassenden empirischen Fallstudie von Dr. Michael Ortiz, in der die regionalen Wissens- und Technologietransfersysteme von sechs Europäischen Regionen in Deutschland, Spanien und Großbritannien international vergleichend untersucht werden.

„Steinwurf!“ ist eine neue Rubrik im Transfermagazin, in der in regelmäßigen Abständen spezifische Themen mal im Sinne eines tatsächlichen Steinwurfs, mal im Sinne des nord- bzw. süddeutschen Wurfs eines Steins in den Garten behandelt werden.

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