„Ein starker Trend ist der zunehmende Einsatz von 3D-Technologien“

Im Gespräch mit Professor Dr. Jörg Eberhardt, Leiter des Steinbeis-Transferzentrums Vision Systeme

Herr Professor Eberhardt, Sie sind seit August 2014 mit Ihrem Steinbeis-Transferzentrum Vision Systeme im Steinbeis-Verbund aktiv. Welche Aspekte haben Sie zur Gründung Ihres Unternehmens veranlasst?

In der Welt der industriellen Bildverarbeitung (IBV) gibt es eine Vielzahl ungelöster Problemstellungen trotz großer Fortschritte bei der Sensorentwicklung, der Leistungszunahme moderner Rechnerarchitekturen und des Trends hin zur einfachen Benutzerschnittstelle. Gerade die Vielzahl unterschiedlicher Technologien und Trends überfordert Unternehmen bei der Suche nach einer einfachen, zukunftsweisenden und vor allem funktionierenden Automatisierungslösung. Ich werde häufig von klassischen Klein- und Mittelständischen Unternehmen (KMU) angesprochen, ob ich nicht bei der Lösung ihrer Automatisierungsprobleme behilflich sein kann. Dabei ist die Bandbreite der Anfragen sehr breit gestreut: Sie reicht von der klassischen Beratung bis zur Entwicklung von Prototypen. Das Steinbeis-Transferzentrum Vision Systeme bietet mir hier den passenden Rahmen zur Durchführung dieser Projekte. Ich kann mich auf die wesentlichen Inhalte konzentrieren und werde bei Verwaltungs- und Routinearbeiten entlastet. Für die Zukunft erhoffe ich mir neue Impulse durch die Zusammenarbeit innerhalb des Steinbeis- Netzwerkes sowie die Möglichkeit zusätzliche Mitarbeiter einzustellen.

Die Expertise Ihres Steinbeis-Unternehmens konzentriert sich auf Forschung und Entwicklung sowie Beratung auf den Gebieten der industriellen Bildverarbeitung. Aus welchen Branchen und mit welchen Problemstellungen kommen Ihre Kunden zu Ihnen?

Die Kunden kommen mit völlig unterschiedlichen Problemstellungen auf das Transferzentrum zu und aus sehr unterschiedlichen Branchen: Von der Holz- bis zur Pharmaindustrie reichen die aktuellen Kundenanfragen. Natürlich gibt es auch Kunden, die mich während meiner früheren Industrietätigkeit kennen gelernt haben und mit denen ein enges Vertrauensverhältnis besteht. Meist geht es um Fragestellungen zu geplanten Investitionsprojekten im Bereich der industriellen Bildverarbeitung. Zunehmend kommen Anfragen von KMU aus der Region, die es schätzen einen kompetenten Ansprechpartner vor Ort zu haben. Auch hier geht es in erster Linie um professionelle Beratung für Automatisierungsprojekte aber auch um Machbarkeitsstudien und Prototypenentwicklung.

Sie beschäftigen sich auch mit dem Thema maschinelles Sehen: Irrelevante Informationen werden ausgefiltert und nur bedeutsame Daten zur Analyse weitergeleitet. In Zeiten der Informationsflut klingt das sehr verlockend. Welche Herausforderungen bringt diese Technologie mit sich, in welchem Stadium befindet sich die Entwicklung aktuell?

In den letzten Jahren hat das „maschinelle Sehen“ enorme Fortschritte gemacht. Zum einen profitiert es von der Entwicklung immer schnellerer Rechnerarchitekturen bei gleichzeitiger Reduzierung des Leistungsverbrauchs. Algorithmen, die vor vielen Jahren wissenschaftlich untersucht wurden, können endlich auf Industrieprojekte mit harten Rahmenbedingungen übertragen werden. Zum anderen hat auch die Kameratechnologie große Fortschritte gemacht. Industrielle Kameras sind heute ausnahmslos digital, bieten Megapixelauflösung und schnelle Bildwiederholraten. Durch Fortschritte in der Sensorfertigung bieten sie zudem eine höhere Empfindlichkeit und einen erweiterten Spektralbereich. Da die Kameras immer schneller immer größere Bilder liefern, ist es umso wichtiger, diese enormen Datenmengen verarbeiten zu können. Es ist daher notwendig, die Bilddaten parallel an mehrere Systeme zu verteilen. Hier bewegt man sich am Rande des heute Machbaren: Häufig kommen zur simultanen Bearbeitung der Kameradaten ganze Rechner-Cluster zum Einsatz. Die Pixel werden fusioniert, gefiltert, segmentiert, transformiert und schließlich mit Neuronalen Netzen, Support-Vektor-Maschinen oder ähnlichen Algorithmen klassifiziert. Entsprechend bewegen sich die Anschaffungskosten solcher BV-Systeme häufig im 6-stelligen Bereich.

Im Bereich der einfacheren Applikationen werden zunehmend „intelligente“ Kameras von klassischen Sensorherstellern eingesetzt. Bei diesen Kameras ist die Auswertealgorithmik bereits in der Kamera integriert und die Bedienung wurde stark vereinfacht: Der Anwender muss sich nicht selbst um die vielen Pixel kümmern, sondern definiert seine Prüfaufgaben interaktiv am zu prüfenden Bauteil.

Die Anwendungsbereiche der industriellen Bildverarbeitung sind in den letzten Jahren stark gewachsen, welche Trends werden aus Ihrer Sicht die Zukunft bestimmen?

Die Qualitätsansprüche bei den Endkunden steigen. 100 Prozent Kontrolle und Rückverfolgbarkeit sind in vielen Bereichen bereits Standard. Die optische Prüfung und Qualitätskontrolle gehört heute zu den Schlüsseltechnologien, ohne die in der Praxis ein Großteil an Automatisierungsaufgaben nicht realisierbar ist – ob in der klassischen Qualitätssicherung oder für Roboter-Vision-Systeme.

Darüber hinaus wird die Bildverarbeitung auch verstärkt für Optimierungsaufgaben und zur Fertigungssteuerung eingesetzt. Hier profitiert diese Technologie vom Trend zur Flexibilisierung der Fertigung bis zur Losgröße 1. Die Konzepte zu diesem generellen Trend in der Automatisierung werden häufig mit dem Schlagwort Industrie 4.0 beschrieben – ohne Bildverarbeitung in vielen Fällen gar nicht möglich, da flexible Fertigungszellen auf die Ergebnisse einer hoch entwickelten Sensorik angewiesen sind.

Ein starker Trend ist der zunehmende Einsatz von 3D-Technologien, die bis vor kurzem noch als aufwändig und kostenintensiv beschrieben wurden. Heute werden verschiedenste, zum Teil auch sehr kostengünstige 3D-Techniken eingesetzt, von der Stereobildverarbeitung bis hin zum Laserscanning.

Die Automobilindustrie bleibt nach wie vor die größte Anwenderbranche dieser Technologie und hat wesentlich dazu beigetragen, dass die industrielle Bildverarbeitung in den vergangenen Jahren ein unersetzbarer Bestandteil in der Automatisierungstechnik geworden ist. Aber auch nicht-industrielle Anwendungen rücken immer mehr in den Fokus, vor allem in den Bereichen Medizin, Verkehr, Sicherheit, Sport und Landwirtschaft. Das autonome Fahrzeug der Zukunft benötigt unterschiedliche 2D und 3D Sensoren und Kameras um das Verkehrsumfeld zu erfassen, im Bereich Sport benötigen wir hochpräzise Bilderfassungsgeräte um beispielsweise den Ball auf der Torlinie zu erkennen, und auch im Bereich der Landwirtschaft kommt zunehmend Kameratechnologie zum Einsatz: zum Steuern der autonomen Erntegeräte, aber auch zum Prüfen des optimalen Erntezeitpunkts.

Kontakt

Professor Dr. Jörg Eberhardt leitet das Steinbeis-Transferzentrum Vision Systeme an der Hochschule Ravensburg-Weingarten. Das Dienstleistungsangebot des Zentrums umfasst die Entwicklung Optischer Kamerasysteme (2D, 3D, Farbmessung), Beratung auf den Gebieten der optischen Messtechnik, Beleuchtungsentwicklung, 2D und 3D Verfahren, Angewandte Forschung in den Bereichen der optischen Messtechnik und 3D Kameratechnik sowie Schulung und Training.

Professor Dr. Jörg Eberhardt
Steinbeis-Transferzentrum Vision Systeme (Meckenbeuren)
SU1840@stw.de

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