„Es gibt nicht das eine Konzept für alles und alle“

Im Gespräch mit Professor Dr.-Ing. Dieter Brüggemann

Herr Professor Brüggemann, Ihr fachlicher Schwerpunkt liegt in der thermischen Energietechnik. In diesem Bereich ist auch Ihr Transferzentrum aktiv, das Sie seit 18 Jahren leiten. Was waren vor zwei Jahrzehnten die fachlichen Themen der Zeit, und mit welchen Herausforderungen beschäftigen Sie sich im Vergleich dazu heute?

Schon damals war „Energie“ ein wichtiges Thema. Es ging zum Beispiel darum, die Verbrennung möglichst effizient und schadstoffarm zu gestalten. Wir haben laseroptische Messtechniken und Simulationsmethoden erfolgreich darauf angesetzt und tun dies auch heute noch. Jedoch haben sich unsere Aktivitäten stark erweitert. Denken Sie nur an die Klimadebatte: Heute geht es sehr um Nachhaltigkeit und die Vermeidung von CO2. Hierbei hat sich das gesamte Umfeld verändert: Regenerative Energieformen waren damals noch etwas Besonderes, heute bestimmen sie die Energiedebatte und lösen auch manche neue Herausforderung aus.

Ihr Steinbeis-Transferzentrum führt unter anderem auch Untersuchungen im Brennraum von Otto- und Dieselmotoren durch. Wie muss aus Ihrer Sicht und im Hinblick auf die aktuellen Klimaschutzdiskussionen die Umweltverträglichkeit beurteilt werden? Machen aktuelle technologische Entwicklungen eine umweltschonende und bezahlbare Nachrüstung denkbar?

Zunächst sollte man sich vor Augen führen, dass bereits sehr viel erreicht wurde. Dank Forschung und Entwicklung stoßen moderne Verbrennungsmotoren unter vergleichbaren Bedingungen nur noch einen Bruchteil der Schadstoffe ihrer Vorgängermodelle aus. Allerdings sind gleichzeitig die Ansprüche an Sicherheit, Komfort, Leistung und Emissionsfreiheit unserer Kraftfahrzeuge derart gewachsen, dass auch heute noch weiter geforscht und entwickelt wird.

Ein Teil der momentan gewonnenen Energie bleibt ungenutzt, da sie an der Erzeugungsstelle gerade nicht gebraucht wird: Das ist ein aktuelles Problem der Energietechnik. Errichtet man Rohrleitungsnetze für deren Transport, wird das schnell teuer. Ihr Steinbeis-Transferzentrum beschäftigt sich in diesem Zusammenhang mit mobilen Latentwärmespeichern und deren Transport per Lkw. Geben Sie uns einen Einblick in diese zukunftsträchtige Lösung!

Vorweg: Es gibt nicht das eine Konzept für alles und alle. Genau das macht unsere individuelle Beratung der Unternehmen und Einrichtungen aus: die individuelle maßgeschneiderte Lösung. In manchen Fällen besteht diese darin, mit überschüssiger Wärme spezielle Speicher zu beladen und diese an den gewünschten Ort zu transportieren, wo sie die Wärme wieder abgeben. Der Vorteil der Latentspeicherung besteht darin, dass die Energie nicht in das Erhitzen sondern in das Schmelzen eines Materials bei fast gleichbleibender Temperatur gesteckt wird. Im Grunde funktionieren diese Speicher ähnlich wie die im Winter gern benutzten Handwärmer - jedoch im Großformat. Und die Größe ist eine der Herausforderungen: Wie kann ich die Wärme möglichst schnell und gleichmäßig be- und entladen? In anderen, stationären Anwendungen geht es vor allem um das Konstanthalten der Temperatur eines Bauteils oder Raums, die wir durch die Materialauswahl einstellen. Auch hieran forschen und entwickeln wir gemeinsam mit dem Lehrstuhl für Technische Thermodynamik und Transportprozesse der Universität Bayreuth. Ein weiterer besonderer Schwerpunkt ist bei uns die Umwandlung von Wärme in Strom durch den Organic Rankine Cycle (ORC). Er ist besonders vorteilhaft, wenn die Temperatur der Wärme (z.B. aus Geothermie oder Abwärme) für ein konventionelles Wasser-Dampf-Kraftwerk zu niedrig ist.

„Solarenergie“, „Windkraft“, „Energiewende“ - diese Begriffe prägen seit längerem Fach- wie Tagespresse. Es wird diskutiert und gestritten, aber in einem sind sich alle einig: Die Energieversorgung sollte umweltfreundlich, sicher und bezahlbar sein. Ist diese Idealvorstellung überhaupt noch realisierbar?

Auf längere Sicht ja, auf kürzere nur mit Abstrichen. Dies sollte uns nicht überraschen: Wenn man innerhalb kurzer Zeit die Energieversorgung auf den Kopf stellt, indem man Kernkraftwerke ausschalten, Kohle nur noch notfalls und Gas nur noch so lange wie nötig verbrennen will, dann hat das Konsequenzen für unsere Stromversorgung. Wind- und Sonnenenergie werden immer fluktuieren, genießen aber im Energiemix bei uns ein Vorfahrtsrecht. Das alte Konzept mit Grund-, Mittel- und Spitzenlasten muss also durch neue Konzepte ersetzt werden. Deren Umsetzung benötigt Zeit, Geld, Willen, aber auch Kompromissbereitschaft. Wir entscheiden manchmal, ohne die absehbaren Konsequenzen - das „wenn - dann“ - erkennen zu wollen. Wer zum Beispiel Offshore-Wind nutzen will, sollte auch großräumige Hochspannungsleitungen akzeptieren.

Lassen Sie uns zuletzt einen Ausblick in die Zukunft wagen: Wie wird Ihrer Meinung nach der Energiemarkt 2050 aussehen? Wo sehen Sie die zukünftigen Schwerpunkte der Energieforschung?

Auch ich bin kein Hellseher. Aus meiner Sicht gibt es drei Faktoren, die die Entwicklung besonders beeinflussen: Technologie, Politik und nicht zuletzt der Bürger. Wer hätte vor drei Jahrzehnten vorhergesehen, dass durch ein kleines und für jedermann erschwingliches Smartphone nicht nur das Telefon sondern auch PC, Buch, Stadtplan, Notizbuch, Uhr und Wecker, Taschenrechner, Kamera, CD- und Videoplayer und manches andere weitgehend ersetzt werden. Man sieht an diesem Beispiel auch sehr gut das Wechselspiel zwischen technologischer Innovation und Nutzerverhalten, dem hier die Freiheit des bequemen Einsatzes überall und jederzeit wichtiger ist als etwa Bildgröße und Tonqualität. Auf ähnliche Weise wird es hinsichtlich des künftigen Energiemarkts darauf ankommen, ob sich die Bürger deutlich anders verhalten als bisher. Tendenzen zeichnen sich bereits ab, etwa in dem der persönliche Besitz, die Größe und Motorleistung eines PKWs für viele jüngere Menschen an Stellenwert zu verlieren scheinen. Eine weitere Frage ist, ob wir tatsächlich für die energetische Einsatzoptimierung unserer Haushaltsgeräte, der Heizung und der Beleuchtung unser privates Verhalten offenlegen wollen. Neben dem Menschen und der Technik ist die politische Entwicklung bedeutsam. Wollen wir eher den Energiebedarf international decken und in seinen Schwankungen europaweit ausgleichen oder gewinnt ein Trend zur dezentralen Energiegewinnung im eigenen Haus, im Ort oder der Region?

Zumindest in den nächsten Jahren, da bin ich recht sicher, werden wir einen Energiemix brauchen. Und deshalb ist es auch vernünftig, nicht alles auf eine Karte zu setzen. Ich bin daher recht sicher, dass wir mit unserer Expertise in der Energiesystemplanung und in der thermischen Energietechnik gefragt bleiben und weiterhin nützliche Beiträge liefern.

Kontakt

Professor Dr.-Ing. Dieter Brüggemann ist Leiter des Steinbeis- Transferzentrums Angewandte Thermodynamik, Energieund Verbrennungstechnik (ATEV) an der Universität Bayreuth. Die Tätigkeitsschwerpunkte des Zentrums liegen in den Bereichen Energietechnik, Thermodynamik und Wärmeübertragung, Verbrennungsforschung, optische Messtechnik und Laserdiagnostik sowie numerische Simulation.

Professor Dr.-Ing. Dieter Brüggemann
Steinbeis-Transferzentrum Angewandte Thermodynamik, Energie- und Verbrennungstechnik (ATEV) (Bayreuth)
SU0311@stw.de | www.steinbeis.de/su/0311

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