„Ein Aufbruch in die Energiezukunft auf Basis regenerativer Energiequellen ist sichtbar“

Im Gespräch mit Professor Gerd Heilscher

Herr Professor Heilscher, Sie haben Elektrotechnik mit dem Schwerpunkt auf Nachrichtentechnik studiert, sich dann aber mit Ihrem Master of Science auf Erneuerbare Energien spezialisiert. War das aus heutiger Sicht visionärer Weitblick für die wesentlichen Fragen in der Zukunft?

Mit energietechnischen Visionen dezentraler Energieversorgung habe ich mich auch schon während des Studiums in München beschäftigt. Das war aber nicht an der Hochschule sondern in der Evangelischen Studentengemeinde in dem Arbeitskreis Erneuerbare Energien, den ich dort geleitet habe. Dort ging es auch schon um Solarstrom und Elektromobilität. An der Universität in Oldenburg waren dann alle diese Themen plötzlich solide Wissenschaft. Auf diesen wissenschaftlichen Grundlagen bauen wir heute noch auf. Viele Themen, die damals schon detailliert behandelt wurden, sind erst jetzt relevant geworden – insofern solide visionäre Wissenschaft. Das Forschungsgebiet der Energie-Meteorologie wurde in dieser Zeit in Oldenburg gegründet.

Ihr Steinbeis-Transferzentrum, in dem Sie sich mit Photovoltaik und Energiewirtschaft befassen, beschäftigt sich unter anderem mit dem Thema intelligente Stromnetze (Smart Grids). Geben Sie uns bitte einen Einblick, was diesen Ansatz im Wesentlichen ausmacht.

Der kontinuierliche Ausbau dezentraler regenerativer Energieversorgung macht in der Energiewirtschaft grundlegende Veränderungen notwendig. Millionen kleiner Kraftwerke speisen wetterabhängig und eigenbedarfs-/ lastabhängig in das Stromnetz ein. Kontinuierlich die Balance zwischen Leistungsbedarf und Einspeiseleistung zu halten ist für die Energiewirtschaft Routine. Dabei hat sie sich aber bisher auf wenige große Kraftwerke gestützt und der Lastbedarf konnte durch die Messung der großen Industriebetriebe und die Standardlastprofile der Haushalts- und Gewerbekunden sicher bestimmt werden.

Die direkte Nutzung von Solarstrom in Haushalten und Gewerbebetrieben verändert aber diese statistischen auf Erfahrungen beruhenden Lastprofile und führt zu einem wachsenden Fehler der Lastvorhersage und damit zu einem steigenden Regelenergiebedarf, um das Gleichgewicht zwischen Einspeisung und Last kontinuierlich auszubalancieren.

Gleichzeitig hat die Einspeisung von dezentraler regenerativer Energie in die Stromnetze und hier vor allem die Niederspannungsnetze zu neuen Anforderungen an die Planung und den Betrieb dieser Netze geführt. Was bisher mit einer grundlegenden Netzplanung und ohne Messung funktioniert hat, muss auf Grund des Ausbaus dezentraler Einspeisung in der Planung überprüft und durch kontinuierliche Messung im Betrieb überwacht werden.

Für die Flüsse haben wir ein Hochwasserschutzsystem eingeführt, mit dem wir Niederschläge und Pegelstände kontrollieren. Für das Stromnetz brauchen wir in der Niederspannung neue Planungsansätze und mehr Informationen aus dem Betrieb, was uns zum intelligenten Stromnetz führt.

Das Steinbeis-Transferzentrum für dezentrale regenerative Energiesysteme unterstützt Netzbetreiber bei der Analyse ihrer Netze insbesondere mit Blick auf die Herausforderungen bei einem weiteren Ausbau dezentraler Einspeisung.

Unter anderem untersuchen Sie in Ihrem Steinbeis-Unternehmen auch die Auswirkungen eben solcher dezentraler Einspeiser auf das Verteilernetz. Kritiker bemängeln, dass diese Einspeiser zu Spannungsproblemen führen können. Wie sehen da Ihre Erfahrungen aus?

Das ist grundsätzlich richtig – die Einspeisung führt zu einer Anhebung der Spannung – ob und wann daraus aber Probleme entstehen, lässt sich mit neuen Planungsansätzen auch schon im Vorausblick sicher ermitteln. Darauf aufbauend werden dann die technisch und wirtschaftlich geeigneten Netzausbaumaßnahmen bestimmt. Schritt für Schritt erfolgt so der Umbau des aktuellen Netzes bedarfsorientiert zu einem intelligenten Netz, das dann auch hohe Einspeiseleistungen dezentraler Solarstromanlagen aufnehmen kann.

Sie beschäftigen sich auch mit dem Thema Energiemeteorologie, einem relativ neuen Forschungsfeld an der Schnittstelle zwischen Erneuerbaren Energien und Atmosphärenphysik. Aus welchem Bedarf heraus ist dieses Forschungsfeld entstanden, wie sehen die Ziele in dieser Disziplin aus?

Wenn ich am Morgen aus dem Haus gehe und der Wetterbericht meldet Regenschauer, dann nehme ich einen Regenschirm mit. Der Wetterbericht für die Energiewirtschaft muss da wesentlich präziser sein. Wie stark scheint die Sonne um 14 Uhr, um 14.15 Uhr, um 14.30 Uhr? Das ist ein ganz neuer Takt für die Meteorologie und eine neue Herausforderung für die Entwicklung der Wettervorhersagen. Meteorologen, Energiewirtschaft und Experten für regenerative Energiesysteme müssen einander verstehen lernen und eine gemeinsame Sprache finden.

Nach einer schwierigen Startphase sehe ich im Moment große Fortschritte. Meteorologen finden neue Arbeitsplätze in der Energiewirtschaft. Energiemeteorologie hat sich als Fachgebiet auch auf den meteorologischen Tagungen etabliert. Aber vor allem die Fortschritte, die in der Entwicklung der Vorhersage der Solareinstrahlung und der Windgeschwindigkeit auf europäischer Ebene beim ECMWF und auf nationaler Ebene im Projekt EWeLiNE (= Erstellung innovativer Wetter- und Leistungsprognose- Modelle für die Netzintegration wetterabhängiger Energieerträge) des Deutschen Wetterdiensts gemacht werden, sind vielversprechend.

Bisher stand der Fehler der Solarleistungs- und der Windleistungsvorhersage im Mittelpunkt. Aktuell untersuchen wir in Ulm, welche Wettersituationen mit welchen Wolkentypen sich wie auf den Betrieb von Stromnetzen auswirken. Die Meteorologie kommt damit in den direkten Austausch mit der Energiewirtschaft und die Ergebnisse führen zu einem sichereren Betrieb von Stromnetzen mit hohen Anteilen von Solarund Windkraftanlagen.

Mit dem Begriff „Meteorologie“ verbinden wir auch den Begriff „Prognose“: Was meinen Sie, wie sieht unsere „Energiezukunft“ aus? Mit welchen positiven, aber auch negativen Entwicklungen sollten wir rechnen?

Hier ist mittlerweile ein Erfolg der Liberalisierung der Energiewirtschaft zu erkennen. Netzbetreiber sehen sich zunehmend als Dienstleister für die neuen Kunden, die nicht nur Energie abnehmen sondern zeitweise auch Energie liefern. Netzbetreiber investieren auch in junge Firmen, die die Innovation in der Solar- und Windvorhersage antreiben. Auch meine Professur für Energiedatenmanagement für dezentrale regenerative Energiesysteme wurde in den ersten fünf Jahren von dem lokalen Energieversorgungsunternehmen finanziert. Hier ist ein Aufbruch in die Energiezukunft auf Basis regenerativer Energiequellen sichtbar.

Die Energiewende – ich spreche da lieber von der Transformation des Energiesystems – hat aber auch Verlierer, was wir an den aktuellen Verlusten in den Bilanzen der großen Energieversorger aber auch der Stadtwerke sehen können. Eine Transformation hat als Kern das Verlassen eines stabilen Zustands – eine Zeit des Chaos, aus dem dann ein neuer stabiler(er) Zustand entsteht. Wichtig ist in dieser Zeit, das Ziel auch bei Kursstörungen, die vielfach auftreten, nicht aus dem Auge zu verlieren.

Die Raupe wird zum Schmetterling, aber die Raupe weiß wahrscheinlich noch nichts davon. Übersetzt auf unsere aktuelle Situation heißt das: Wer nur die hohen EEG-Abgaben im Strompreis thematisiert, handelt aus meiner Sicht fahrlässig: Der mit den EEG-Abgaben finanzierte Umbau des Energiesystems führt uns zu einem sowohl umweltverträglichen als auch auf lange Sicht wettbewerbsfähigen, sicheren und unabhängigen Energiesystem. Das ist das Ziel, das wir bei allen aktuellen und zukünftigen Störungen nicht aus dem Auge verlieren sollten.

Kontakt

Professor Gerd Heilscher leitet das Steinbeis-Transferzentrum Dezentrale Regenerative Energiesysteme an der Hochschule Ulm. Das Dienstleistungsangebot des Zentrums umfasst u. a. die Beratung bei der Projektentwicklung von Solarstromanlagen, die Erstellung von Ertragsgutachten sowie die Beratung bei der Entwicklung und Einführung von Produkten und Dienstleistungen im Bereich Smart Grid, Smart Meter und Smart Home.

Professor Gerd Heilscher
Steinbeis-Transferzentrum Dezentrale Regenerative Energiesysteme (Ulm)
SU1513@stw.de | www.steinbeis.de/su/1513

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