Tunesiens Innovationssystem auf Steinbeis-Kurs

Steinbeis-Experten arbeiten vor Ort gemeinsam am Aufbau eines Transfersystems

Seit im Dezember 2010 der friedliche Umbruch des politischen Systems in Tunesien begann, befindet sich auch das Wirtschaftssystem Tunesiens im Wandel hin zu einer modernen wissensbasierten Wirtschaft. Tunesien hat sich sowohl politisch als auch wirtschaftlich zu einem Vorreiter der Region Nordafrikas entwickelt. Mit ca. 1% Investitionen des Bruttoinlandsprodukts (BIP) in den Bereich Forschung und Entwicklung stellt Tunesien eine positive Ausnahme zu den übrigen Ländern der Region dar, bei denen die Investitionen lediglich zwischen 0,2 und 0,7% liegen. Der EU-Mittelwert liegt bei rund 2%, das zeigt, dass hier noch Ausbaupotenzial besteht. Zudem zeigt die klassische Wirtschaft ein geringes Interesse an Innovationsvorhaben. Der Anteil an privatwirtschaftlichen Investitionen in F&E ist mit unter 20% Anteil an den Gesamtausgaben sehr niedrig. Um dem entgegenzuwirken, unterstützen Steinbeis-Experten den Aufbau eines tragfähigen Technologietransfers im Land.

Da Innovationstätigkeit eine wesentliche Stütze moderner und nachhaltiger Wirtschaftssysteme darstellt, gilt es diese in Tunesien weiter zu entwickeln. Verbesserungen sind im Bereich der Innovationsstruktur als auch im Bereich des Innovations-Know-hows gefordert. Neben der Bekämpfung der Fachkräfteabwanderung besteht vor allem Bedarf an Strukturen, die den Transfer von wissenschaftlichem Know-how an den Bedarf der lokalen Industrie angepasst anbieten können. Im Vergleich zu den Nachbarländern sind in Tunesien mehr Technologieparks und Unternehmens- Inkubatoren vorhanden. Eine neue Generation von Firmen-Ausgründungen aus der Forschungslandschaft beginnt, sich weiter zu entwickeln. Doch die Anzahl an Technologietransfer-Einrichtungen an den Wissenschaftsstandorten und damit einhergehend die Zusammenarbeit von Wissenschaft und Wirtschaft ist noch gering und erst in den Anfängen.

Hier setzt das EU-Projekt PASRI (Le Projet d’Appui au Système de Recherche et de l’Innovation) an. Über die Gesellschaft für Internationale Zusammenarbeit (GIZ), die in Tunesien als Partner des PASRI-Projektes fungiert, hat Steinbeis den Auftrag erhalten, einerseits für acht Technologietransfereinrichtungen Strategien zu entwickeln und andererseits in Zusammenarbeit mit tunesischen Experten 30 Unternehmen zu besuchen, Bedarfserhebungen durchzuführen und Lösungswege mittels Technologietransfer zu ermitteln.

Im Verlauf des Jahres 2014 waren dazu vier Steinbeis-Experten regelmäßig vor Ort und arbeiteten mit den tunesischen Partnereinrichtungen und Unternehmen. Die Umsetzung wurde gemeinsam mit tunesischen Beratern durchgeführt, um die Landesexpertise einzubinden und ein Coaching der Berater zu ermöglichen. Die Ergebnisse können sich sehen lassen: Alle acht Technologietransfereinrichtungen, die aus verschiedenen Technologiebereichen stammen, haben aus den Analysen konkrete Arbeitspläne entwickelt, wie sie die Strategie hin zu mehr Technologietransfer umsetzen. Dabei sind unterschiedlichste Maßnahmen eruiert worden:

  • Unabhängige Einrichtungen zu schaffen, um eigenverantwortlich und effizient agieren zu können,
  • Unternehmen regelmäßig zu besuchen und zu analysieren,
  • die Ergebnisse daraufhin zu prüfen, welche Dienstleistungen den tunesischen Unternehmen angeboten werden können,
  • die Zusammenarbeit mit tunesischen Beratern zu etablieren, um den Prozess des Projektmanagements zu professionalisieren und kulturelle Unterschiede zwischen Wissenschaft und Wirtschaft zu überbrücken,
  • die Wissenschaftler in den Forschungseinrichtungen zu mobilisieren,
  • eine Anschubfinanzierung für das Personal und Sachkosten zu akquirieren,
  • ein nationales Netzwerk aufzubauen, um den Austausch zu ermöglichen und Dienstleistungen für alle Transfereinrichtungen anzubieten,
  • mehr Eigeninitiative und unternehmerisches Denken zu fördern sowie
  • konkrete, an die Zielgruppe angepasste, Marketingmaßnahmen zu entwickeln.

Im zweiten Projektteil wurden 30 Unternehmen, schwerpunktmäßig aus den Branchen IKT, Biotechnologie, Ernährungswirtschaft und Maschinenbau, besucht. Als Grundlage diente das Steinbeis-Konzept der Aktiven Kurzberatung und Spezialberatung. Die Besuche wurden gemeinsam mit den tunesischen Beratern vorbereitet und durchgeführt, die zuvor in der Methodik der Unternehmensansprachen und Analyse geschult wurden. Das verwendete Analysetool half der Industrie, ihrerseits die Notwendigkeit von Innovationen zu erkennen.

Bei den Unternehmensbesuchen identifizierten die Steinbeis-Experten vor Ort rund 80 Fragestellungen, die für die Unternehmen durch Technologietransfer zu lösen sind, Beispiele dafür sind:

  • Abteilungen für F&E in den Unternehmen aufzubauen,
  • Umweltstandards zu verbessern,
  • Recycling einzuführen,
  • neue Produkte zu testen,
  • Analytik-Services anzubieten,
  • Marketingmaßnahmen zu entwickeln und umzusetzen,
  • F&E-Zusammenarbeit mit europäischen Partnern zu ermöglichen sowie
  • Geschäftskontakte nach Deutschland auszubauen.

Seitens der Unternehmen wurde starkes Interesse offensichtlich, diese Fragestellungen mit tunesischen Experten zu lösen, die professionell agieren und Industrieerfahrung mitbringen. Die Bedarfsanalysen haben gezeigt, wie essenziell es ist, dass sich die Transfereinrichtungen an den Bedürfnissen der Industrie orientieren. Dies wurde wiederum in die Strategien der acht Einrichtungen einbezogen.

Das Steinbeis-Team ist sich einig: Die Innovationslandschaft in Tunesien ist auf einem guten Weg, durch den Steinbeis-Beitrag konnte die Methodik des Transfers und vor allem die Marktorientierung deutlich gemacht werden. Die tunesischen Berater werden mit den Technologietransfereinrichtungen weiter zusammenarbeiten, es gibt erste Planungen, daraus ein Steinbeis-Tunesien-Netzwerk aufzubauen. Auch aus Steinbeis-Sicht war die Zusammenarbeit mit den Akteuren vor Ort bereichernd, weil viele Landesspezifika erkannt und erörtert werden konnten. Und auch die Zusammenarbeit des Steinbeis-Teams selbst war für die Beteiligten aus den unterschiedlichen Steinbeis-Unternehmen bereichernd, kamen doch unterschiedliche Kompetenzen aus den Branchen, der Beratung und der Länder zusammen: „Diese interdisziplinäre und interkulturelle Erfahrung, bei der abwechselnd in drei Sprachen kommuniziert wurde, von denen ich maximal zwei verstanden habe, möchte ich nicht missen. Ich freue mich auf Folgeprojekte in Tunesien und mit den Steinbeis-Kollegen“, äußerte sich Projektkoordinator Frank Graage, Leiter des Steinbeis-Forschungszentrums Technologie-Management Nordost, zum Projektabschluss sehr zufrieden.

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